Mit einem hochaktuellen Lagebericht aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria begann am 17. September in der Kulturkirche Liebfrauen die Diskussionsveranstaltung der Reihe „Weltblick Duisburg“ des Gemeindedienstes für Mission und Ökumene der Evangelischen Kirche im Rheinland (GMÖ) in Kooperation mit der katholischen Stadtkirche Duisburg.
Auf der großen Leinwand erschien das Gesicht der Fotografin Alea Horst, die zurzeit auf Lesbos ist. Sie berichtete Moderator Claudio Gnypek: „Wir sehen hier ein großes Polizeiaufgebot, das die Geflüchteten mit großem Nachdruck in das neue Camp bringt.“ Das neue Lager hat eine Kapazität von 3000 Plätzen, soll aber 13 000 Menschen aufnehmen, die dann zu zehn Menschen in 6-Personen-Zelte gepfercht werden." Sie sei tief geschockt von den Zuständen, sagte Horst, der die Erschütterung ins Gesicht geschrieben stand. „Die Leute hier sind nach einer Woche auf der Straße erschöpft und haben große Angst. Das alles ist einfach abartig und unmenschlich“, fasste sie die Situation zusammen.
Vom Podium antwortete der Flüchtlingsbeauftragte der Katholische Stadtkirche Duisburg, Diakon Stephan Koch mit einer provokanten Einschätzung der Lage vor Ort. „Wir haben hier in Duisburg seit 2015 Strukturen ausgebildet, in unseren Aufnahmeeinrichtungen sind Kapazitäten frei. Das ist in fast allen Städten so. Wenn die anderen europäischen Länder nicht helfen wollen, dann machen wir es eben allein und nehmen alle Leute aus Moria auf, “ sagte Koch und erntete spontanen Applaus aus dem Publikum, im dem viele engagierte Flüchtlingshelfer saßen.
Gegen den von Markus Söder aufgebrachten Begriff „Asyltourismus“ wehrte sich die Sozialpädagogin und Flüchtlingsberaterin Becky Fetsch vom Diakoniewerk mit Fakten. Sie beschrieb die äußerst
beschwerlichen Fluchtrouten und nannte ein ganzes Bündel unterschiedlicher Fluchtgründe von Krieg über Menschenhandel bis hin zu Fällen, in denen Menschen in ihrer Heimat wegen angeblicher
Hexerei aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden. Viele Geflüchtete hätten eigentlich Anspruch auf Familienzusammenführung. „Das Dubliner Abkommen ist da theoretisch gut, klappt aber in der
Praxis überhaupt nicht“, erläuterte Fetsch. Sie hat in den letzten zwei Jahren gerade mal in zwei Fällen tatsächlich die bürokratischen Hürden überwinden und einer Familie zum Wiedersehen
verhelfen können. „Aber auf meinem Schreibtisch liegen 20 Fälle, in denen sich gar nichts bewegen lässt. Dabei haben die Leute ein Recht darauf“, sagte sie.
„Das ist geradezu zynisch, über Jahre ein solches System zu produzieren, sich aber aus den Folgen raushalten zu wollen“, fasste Kirchenrat Rafael Nikodemus die politische Dimension zusammen. „Es
gibt im Moment praktisch gar keine europäische Flüchtlingspolitik.“ Es sei nicht das europäische Parlament, sondern die einzelnen Mitgliedsstaaten, die da auf der Bremse stünden, versicherte
Terry Reinke, eine zugeschaltete Europaabgeordnete der Grünen.
Wie gemeinsam mehr Druck auf alle politischen Ebenen gemacht werden könnte, die Menschen in Moria schnell zu evakuieren, darüber diskutierten die Podiumsteilnehmer noch länger mit ihrem
engagierten Publikum.
Text: Sabine Merkelt-Rahm