Thomas Rünker hat eine von drei durch Duisburger Pastor Hermann-Josef Brandt entwickelte Pilgerfahrradtouren durch das Bistum Essen getestet
„Warum soll Pilgern im Ruhrgebiet nur zu Fuß gehen?“, hat sich der Duisburger Pastor Hermann-Josef Brandt aus der Pfarrei St. Judas Thaddäus gefragt und drei Fahrradrouten entlang der Pilgerwege des Bistums Essen entworfen. Immer möglichst dicht an der „Wegstrecke 2“ des Bistums-Pilgerwegs hat er mit Rad und Smartphone den Fahrradpilgerweg von Duisburg-Ruhrort zum Essener Dom abgesteckt. Zwei weitere Routen führen von Gelsenkirchen-Buer und von Bochum nach Essen.
Zu allen drei Strecken hat Brand auch Impuls-Texte formuliert, die sich auf besonders markante Orte beziehen. Diese Impulse sind zusammen mit der Wegstrecke in Dateien zum Pilgerweg in den Outdoor-Netzwerken Komoot und Outdooractive hinterlegt.
Doch wie pilgert es sich auf dem Fahrrad? Thomas Rünker aus der Pressestelle des Bistums hat einen Selbstversuch auf dem Weg von Duisburg-Ruhrort zum Essener Dom gewagt.
Bei Kilometer Vier wird es besinnlich: Rechts die Ruhr, die Rheinwiesen voraus, mittendrin das Kunstwerk „Rheinorange“ – und unter den Reifen makelloser Asphalt. So könnte das Fahrradpilgern die nächsten 50, 60 Kilometer weiter gehen. Aber Fahrradpilgern, wie geht das eigentlich? Mit Rosenkranz am Lenker und einer Jakobsmuschel an der Satteltasche? Dies ist die Geschichte eines Selbstversuchs: Fahrradpilgern auf einer Route entlang eines der Bistums-Pilgerwege für Wanderer: Vom Duisburger Hafen zum Essener Dom, mitten durchs Ruhrgebiet, wo es vermutlich mehr Autobahn- als Wegkreuze gibt.
Pilgernde sind die, „die in der Fremde sind“
Frei aus dem Lateinischen übersetzt, sind pilgernde Menschen die, „die in der Fremde sind“ – dieses Grundgefühl dürften auch wenig spirituell angehauchte Radelnde teilen, wenn sie im Auto-dominierten Ruhrgebiet unterwegs sind. Vor der entspannt-besinnlichen Etappe bei „Rheinorange“ stehen jedenfalls erst einmal lückenhafte Radwege, Lkw- und Autoabgase im Feierabend-Verkehr und Kopfsteinpflaster im historischen Ruhrort auf dem Programm. Und auch auf der folgenden gut 40 Kilometern wird das Zweirad-Vergnügen geteerter Radwege und naturnaher Bahntrassen immer mal wieder durch die Straßen-Realität getrübt, in der die beschworene Verkehrswende allenfalls in Ansätzen zu erahnen ist. Dieser Pilgerweg jedenfalls führt durchs pralle Leben: In Ruhrort geht’s durch die Horst-Schimanski-Gasse mit der Büste des ehemaligen „Tatort“-Kommissars vorbei an Reedereien und Museums-Schiffen und schließlich über die gerade im Umbau befindlichen Karl-Lehr-Brücken.
Etwas ruhiger wird es auf dem Ruhrdeich in Richtung Mülheim. Eine gute Gelegenheit, wieder über das eigentliche Pilgern nachzudenken, über Besinnung und Spiritualität. „Die unmittelbarste spirituelle Erfahrung beim Radfahren ist das Atmen“, sagt Gereon Alter. Er muss es wissen. Seit vielen Jahren verbringt der Essener Pfarrer und langjährige „Wort zum Sonntag“-Sprecher regelmäßig oft mehrere Wochen auf dem Fahrrad, gern in fernen Ländern. „Die Bibel verwendet für Atem und Heiliger Geist dasselbe Wort“, erläutert Alter. Da fühlt sich das ruhige Ein- und Ausatmen im Takt der gemütlichen Trittfrequenz auf dem Deich doch gleich ganz anders an. Der radelnde Priester ergänzt: „Wenn ich beim Radfahren auf meinen Atem achte, spüre ich sofort, wie es mir geht. Und ich kann Einfluss auf meinen Atmen nehmen - und damit auf mein gesamtes Befinden.“ Das sagt einer, der die heutige Pilger-Strecke vermutlich als Aufwärm-Runde sehen würde.
Mit Atem, Kraft und Heiligem Geist zur Bistumsakademie „Die Wolfsburg“
Doch der Gedanke ans Atmen und an den Heiligen Geist wird richtig präsent, als es hinter dem Duisburger Zoo und der A3 rechts in den Wald geht. Drei, vier, fünf Prozent steigt zwischen den Bäumen der Schotterweg an – und der Atem geht bald genauso schnell, wie der zügige Antritt der Beine. Noch ist genug Puste da – und besser, der Berg ist schnell vorbei. Dass Atem und Gottes Geist dasselbe sind, klingt plötzlich gar nicht mehr so weltfremd, wie auf dem entspannten Ruhr-Radweg im Tal: Hier am Hügel braucht es viel Atem, viel Kraft, viel Heiligen Geist – sonst wird das nichts.
40 Höhenmeter über dem Zoo lockt die Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ mit guten Pausen-Möglichkeiten. Zwischen den Sanitärräumen und der Sonnenterrasse stempeln die Menschen am Empfang bei Bedarf die Pilgerpässe der Bistums-Pilgerwege ab. Außerdem kann man hier die Wasserflasche wieder auffüllen. Wer mag, kann in der „Wolfsburg“ auch eine spirituelle Pause einlegen: Im ersten Stock liegt die 2013 komplett neu gestaltete Kirche der Akademie: Ein heller, schlichter Raum der von den Übergängen lebt, wie Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck seinerzeit bei der Einweihung gesagt hat: „von den Übergängen zwischen Wort und Sakrament, zwischen Mensch und Mensch, zwischen dem Dunklen der Seele und dem Lichtvollen des Göttlichen“. Vielleicht auch vom Übergang der sportlichen Anstrengung draußen im Wald und dem wohltuenden „einfach nur hier sitzen dürfen“.
Weiter geht’s durch die Wälder des Mülheimer Südens, mal rasant bergab, mal an der Landstraße entlang und mal über entspannte Forstwege. Überall sprießt das Frühjahrsgrün hervor, es duftet, die Blätter rauschen … - einfach toll. Gereon Alter verweist auf den Heiligen Ignatius, der gesagt hat, dass „Gott in allen Dingen“ zu finden ist, und sagt: „Deshalb versuche ich in allem, was mir auf einer Radtour begegnet, auch eine Botschaft Gottes zu entdecken.“ Das ist hier im Uhlenhorst wirklich nicht schwer: Was für eine tolle Natur, welch tolle Schöpfung! Immerhin wird auf dem Rad das schlechte Gewissen etwas kleiner, weil wir Menschen in Deutschland – trotz vieler Anstrengungen – immer noch ziemlich viel dafür tun, diese Umwelt zu zerstören.
Mystische Stimmung im Kloster Saarn
Viel Natur gibt’s auch an der nächsten spirituellen Raststätte, dem Kloster Saarn. Fast 600 Jahre lang haben hier Zisterzienserinnen gelebt, gebetet und gearbeitet – und viel von diesem klösterlichen Geist ist auch über 200 Jahre nach der Schließung noch zu spüren. Für historisch Interessierte gibt es zahlreiche Info-Tafeln mit einem Audio-Guide. Ein gepflegter Garten lädt zum Bummeln und ein Café bietet Stärkungen an. Vom Kreuzgang aus geht’s normalerweise in die Kirche. Die ist heute abgeschlossen, aber durch offene Fenster klingt leise Orgelmusik in den menschenleeren Kreuzgang – keine 200 Meter vom rauschenden Verkehr auf der Bundesstraße 1 entfernt wirkt das fast mystisch.
Wieder auf dem Sattel geht es in Richtung Mülheimer Innenstadt angenehm bergab und dann erst links und schließlich rechts der Ruhr entlang. Hinter der neu gestalteten Uferpromenade „Ruhrbania“ führt die Route über den Radschnellweg RS1. Ab dem Mülheimer Bahnhof steigt der langsam aber spürbar an: Auf der „Heißener Steige“ haben einst die Dampflok-Heizer noch ein paar Schüppen Kohle extra ins Feuer geworfen. Obwohl Essen schon in Sicht ist, geht’s dann vom RS1 noch einmal links ab in ein Wohngebiet und schließlich durch den Schlosspark Borbeck: Wieder herrliche Natur mitten im Ruhrpott. Kein Wunder, dass es den mittelalterlichen Fürstäbtissinnen hier in ihrem Wasserschloss besser gefiel als in der seinerzeit wohl ziemlich miefigen Essener Innenstadt.
Ab dem Borbecker Bahnhof rollt es sich auf einer ehemaligen Bahntrasse wieder entspannt in Richtung RS1 und dann die letzten Kilometer bis zum Essener Dom. Was bleibt – neben dem Eindruck einer tollen Fahrradtour – von diesem Selbstversuch Fahrradpilgern? Pilgern – ob mit dem Rad oder Fuß – ist das, was man selbst draus macht: Für die eine ist Besinnung schon Sport, der andere braucht Sport zur Besinnung, manche sprechen lieber in einer Kirche ein Gebet, für andere ist der Wald die perfekte spirituelle Umgebung. Auf dem Fahrrad gibt’s dies alles zwischen Ruhrort und dem Essener Dom in bunter Abwechslung und vor allem – mitten im Leben des Ruhrgebiets. Nur nicht „in der Fremde“, wie es das Wort „pilgern“ eigentlich meint. Aber vielleicht doch: Wer sich für den Weg ein paar Stunden Auszeit aus dem eigenen Alltag nimmt, wird ein kleines bisschen zum „Fremdling“ zwischen denen, die gerade Einkaufen, zur Arbeit gehen oder im Stau stehen. Aus dieser Außenperspektive sieht man manches etwas anders – vielleicht sogar das eigene Leben.
Text und Fotos: Thomas Rünker, Pressestelle Bistum Essen